Reinhard Mey macht es einem leicht, ihn anzukündigen. Name genügt – jeder weiß Bescheid. „Über den Wolken“- 3 Minuten 45 mit Volksliedstatus. Seine „Annabelle” – unsere Annabelle, kollektive Freundin mehrerer Generationen. Mey hat sich nie auf seinem „Achtel Lorbeerblatt“ ausgeruht. 25 Studioalben. Tourneen. Einige Texte sind heute Lehrstoff an unseren Schulen. Die Kunst ist präsent, selbst wenn sich der Künstler eine Auszeit erbittet… Reinhard Mey gibt derzeit keine Interviews. Eigentlich. Hier macht er eine Ausnahme, die einzige nach eineinhalb Jahren.
Interview:
Matthias Schumacher: Herr Mey, „Mairegen“ im Herbst. Ihre Tour nach drei Jahren Abstinenz. Brennt der alte Wolf noch so für seinen Job wie der junge – einst im Mai?
Reinhard Mey: Noch mehr! Als ich mit der Musik begann, wünschte ich mir, dass ich diesen Beruf ausüben kann, bis ich tot umfalle. Ich kann noch immer singen, klar, dass da das Feuer lodert.
MS: Worin besteht für Sie selbst der größte Unterschied zwischen dem 68jährigen Mey und dem vor 40 Jahren?
Mey: Der vor 40 Jahren war 28. Das ist der größte Unterschied.
Der 68jährige … naja, alt, älter schon, obwohl ich mich nicht so richtig alt fühle, vielleicht auch, weil sich das mit den Zipperlein noch sehr in Grenzen hält.
MS: Noch mal zum Wolf und den 1970ern. Damals sangen Sie „Bevor ich mit den Wölfen heule, werd ich lieber harzig, warzig grau“. Ist es nicht jetzt an der Zeit, irgendwo mitzuheulen? Gelegenheiten gibt es an jeder Ecke.
Mey: Ich heule auch heute nicht mit. Wo ich gebraucht werde und wo ich sachkundig bin, packe ich auch an, auf meine Weise.
MS: Ihre Alben stürmen die Charts, ihre Konzertkarten sind begehrt. Warum müssen Sie gar nicht so laut heulen wie andere, um auf offene Ohren zu stoßen?
Mey: Das weiß ich nicht, aber ich habe ein wunderbares Publikum, dass das, was ich mache, mag. Das ist ein großes Glück, ich weiß.
MS: Nun heißt ein aktuelles Lied von Ihnen „Gegen den Wind“. Stromlinienförmig waren Sie selten. Ein Teil Ihres Erfolgsrezepts und offensichtlich Ihr Rat an die Jugend. Kann das ständige Gegen-den-Wind nicht gerade junge Menschen regelrecht zerreißen?
Mey: Es geht darum, nicht alles zu glauben, Zweifel zuzulassen, den Rat zu hinterfragen – auch meinen – und dann seinen eigenen Weg zu finden und zu gehen, auch gegen Widerstände und gegen den Wind.
MS: Sie sangen über den Alltag, Schuhe, Butterbrote und werden geliebt. Ist das nicht ein gutes Zeichen für Deutschland, wo man, wie Sie in „Heimatlos“ singen, „mit der immer gleichen Meterware“ zugedudelt wird?
Mey: Deutschland besteht ja Gott sei Dank nicht aus seinen Rundfunksendern. Menschen lassen sich eben nicht gleichschalten, auch wenn man täglich mit Nachdruck versucht uns einzureden, dass alle die gleiche Meterware hören wollen.
MS: Sie sind noch immer für eine Quote im Radio – trotz des Erfolgs unzähliger deutschsprachiger Künstler wie Silbermond, Ich + Ich, Tokio Hotel… ?
Mey: Tja, letztendlich hat dies Land wohl die Musik, die es sich wünscht. Ich sehe das mit der Quote auch völlig unverbissen. Aber wo sind Gisbert von Knyphausen, Philipp Poisel, Anna Depenbusch, Dota Kehr, Bodo Wartke? Wo sind alle die neuen Geschichtenerzähler, Singer/Songwriter? Von den alten gar nicht zu sprechen: Hannes Wader, Konstantin Wecker, Klaus Hoffmann. Deutsche Musiker, die auch Texte haben, gibt es nicht im Radio. Nicht mal Clueso, der die Charts anführt.
MS: Ist es eigentlich beim heutigen Tempo nicht unendlich schwer, Themen zu finden, die vom ersten Gedanken über die Produktion bis zur Tournee ihre Brisanz behalten?
Mey: Ich arbeite völlig unabhängig von der Tagespolitik. Schrieb von Anfang an über das, was mich bewegt, was ich sehe, was mich freut, was mich traurig oder wütend macht, ich habe mich nie irgendeiner Mode angepasst, ich schreibe, was ich schreiben will, ganz egal, was zwischen Schreibzeit und Tournee passiert.
MS: Fällt Ihnen spontan eines Ihrer älteren Lieder ein, das sich überlebt hat?
Mey: „Ich würde gern einmal in Dresden singen“, Gott sei Dank, dass ich das heute nicht mehr so singen muss und dass ich – wie ich es mir wünschte – in Dresden singen kann, in diesem Herbst gleich zweimal.
MS: Gibt es in Ost und West noch unterschiedliche Reaktionen auf Ihre Lieder?
Mey: Nein, wir sind ein Volk!
MS: In „Larissas Traum“ gehen Sie mit den Castingshows hart ins Gericht. RTL sendet derzeit die achte Staffel DSDS. Muss man da wirklich noch vor Wut kochen?
Mey: Keine Ahnung.
Ich habe in diese Staffel nicht mehr reingesehen. Mir tun die jungen Leute leid, deren Gutgläubigkeit, deren Vertrauen, deren Begeisterung ausgenutzt wird. Es ist ein Vorrecht der Jugend, nicht vernünftig zu sein, zu experimentieren, ins Risiko zu gehen. Aber die 16-, 17-jährigen Mädchen ohne Anlass halbnackt in doofen Posen in der Bild-Zeitung zu erniedrigen, obwohl sie doch nur singen wollen, ist Missbrauch – aber ich habe dazu in „Larissas Traum“ eigentlich alles gesagt.
MS: Es gibt ja nicht nur den knurrenden Wolf, sondern auch den zärtlichen, der ungezählte Lobgesänge auf seine Frau angestimmt hat. Wie kann man sich das vorstellen im Hause Mey? „Schatz, ich hab dir wieder ein Lied geschrieben, hör doch mal…“?
Mey: Das Liederschreiben ist ein langer Prozess. Ich lebe sehr intensiv mit meiner Familie, meinen Freunden. Es wird viel diskutiert. Ich sammle Ideen, die ich in meiner Schreibzeit, immer im Herbst, ausarbeite. Während des Schreibens stehe ich ja in ständigem Gesprächskontakt mit meiner Frau, und wenn ich ein Lied geschrieben habe, hört sie es als erste. Es ist überhaupt keine Überraschung für sie, wenn ein Lied für sie dabei ist. Wenn ich tatsächlich mit dem Satz „Schatz, ich hab dir wieder ein Lied geschrieben, hör doch mal …“ ankäme, würde sie sagen: „ Du scheinst verwirrt, geh zurück an Deinen Schreibtisch und schreib noch’n Lied!“
MS: Wie geht’s Ihrer Geliebten, Frankreich, wo Sie große Erfolge feierten, wo Sie jeder als Frédérik Mey kennt?
Mey: Ich hätte gern mehr Zeit, um öfter nach Frankreich zu fahren, aber … alles im Leben hat seine Zeit und ich hatte meine, an die ich sehr gern und ohne Wehmut zurückdenke.
MS: Schmerzt es Sie als Pazifist nicht besonders, wenn gerade Frankreich nun an vorderster Front gegen Gaddafis Truppen kämpft?
Mey: Ja, weil jeder Krieg, egal wo und gegen wen, mich schmerzt. Nur so, wie es sich mir darstellt, geht es hier um einen Akt von Nothilfe. Ich respektiere die Haltung der Franzosen.
Matthias Schumacher: Thomas Mann sagte angesichts seiner zerstörten Heimatstadt Lübeck und der vorangegangenen Bombardierung von Coventry, lieb sei es ihm nicht, aber er habe „nichts einzuwenden gegen die Lehre, dass alles bezahlt werden muss im Leben.“ Wenn dem so ist, welchen Preis hat Reinhard Mey für seinen Erfolg bezahlt?
Reinhard Mey: Ich habe nichts bezahlt für meinen Erfolg, ich habe dafür gearbeitet. Ich habe kein Verbrechen begangen, ich nehme niemandem etwas weg, ich habe nichts zu bezahlen. Und wenn es etwas gibt, dann bezahle ich am Ende wie wir alle, mit meinem Leben.
Vielen Dank für das Interview!
© Matthias Schumacher / Reinhard Mey, März 2011