Autor: Matthias Schumacher
  • Mit Panzer durch die Zeit der Meinungsdiarrhoe nach Königsberg – und zurück

    Bevor man sich bettet, liegt man bei ihm richtig.
    Seit fast 14 Jahren führt der Kulturjournalist Volker Panzer am späten Sonntag, der eigentlich ein früher Montag ist, im ZDF durchs nachtstudio“.
    Mit wechselnden Gästen diskutiert er auf hohem Niveau, was uns bewegt, bewegen könnte/sollte. Panzer, 35 Jahre beim ZDF, setzt so jenen Weg fort, den er als Akademiker, aspekte-Moderator und Terra-X-Filmemacher eingeschlagen hat. Kürzlich lud ich den Wahlberliner auf eine Reise durch die Weiten der Massenmedien bis nach Königsberg ein. Im Gepäck: ein Hirnforscher, zwei warme Mahlzeiten und ein dramatischer Befund.
    Mit Panzer kommt man eben überall hin – und zurück…

    Matthias Schumacher: Was haben die Intellektuellen verbrochen, dass man sie im deutschen Fernsehen auf unmögliche Sendeplätze und in Spartenkanäle verbannt?

    Volker Panzer: Wieso verbrochen? Und was heißt hier Intellektuelle? Als das Fernsehen noch geholfen hatte, in den alten Zeiten vor den Privaten, waren sie sich zu fein dafür, die besseren Stände, und jetzt rennen sie jeder Talkshow-Schürze hinterher. Auch in den Medien geht es zu wie im Mediamarkt oder bei Aldi: Billig und geil muss es sein. Wie anders ist zu erklären, dass die Feuilletonisten feuchte Hände kriegen, wenn sie mit Begeisterung über das Dschungelcamp schreiben und gleichzeitig voller Hohn über z.B. die „Geschichte der Deutschen“ im ZDF herfallen.

    MS: Wie ein Herfallen sieht es bei Ihnen im „nachtstudio“ allerdings nicht aus. Im Lichte des elektrischen Lagerfeuers scheinen selbst Quoten gleichgültig.

    Panzer: In der Nacht, habe ich mal vor langer Zeit geschrieben, darf das Medium noch träumen. Pustekuchen. Der Kasten hat 24 Stunden auf und selbst wir stehen nicht mehr auf verlorenem Posten, sondern werden an den „Mitbewerbern“ gemessen. Bis jetzt noch mit gutem Erfolg. Und was die „Kulturhalden“ (Peter W. Jansen) angeht: Es wird doch niemand davon abgehalten, den Daumen auf den Knopf für 3sat oder arte zu legen. Tun aber die Wenigsten.

    MS: Früher, in der alten Zeit, haben sich die Denker, Mahner, Warner immer dann zu Wort gemeldet, wenn eine Krise sichtbar wurde. Heute ist immer Krise. Ist die Welt wirklich so bedrohlich geworden oder denkt, mahnt, warnt da mancher etwa zum Zwecke der eigenen Vollbeschäftigung und Unentbehrlichkeit?

    Panzer: Genau so ist es. Denn so paradox es klingt, die Welt ist im Großen und Ganzen nicht bedrohlicher, sondern friedlicher geworden. Die Erinnerung an die Weltkriege des  20.Jhd. liegt ja noch in der Zeitgenossenschaft, aber zunehmend wird vergessen, dass damals Abermillionen Menschen hier bei uns in Europa und anderswo, zum Beispiel aus aktuellem Anlass auch in Japan, ermordet und ums Leben gebracht worden sind. Dagegen sind die Opfer der heutigen Kriege, die ich keineswegs verharmlosen will, abzählbar.

    MS: Woher kommt dann der Alarmismus?

    Volker Panzer: Die Welt ist dank der neuen und der alten (Massen)Medien durchsichtiger geworden und ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Marshall McLuhan, der kanadische Zukunftsforscher hat von einem „globalen Dorf“ gesprochen. Jeder sieht, was der Nachbar macht, und keiner kann sich verstecken. Der leider zu früh verstorbene Hirnforscher Detlef B. Linke hat dazu einmal eine sehr plausible These aufgestellt: In der Steinzeit saß die Horde um das Lagerfeuer und die Gefahr drohte aus dem Dunkeln. Heute sitzt die Horde vor dem elektrischen Lagerfeuer, dem Fernseh- oder Rechnerbildschirm, und die Gefahr sticht unmittelbar ins Auge mit dem Ergebnis: unsere Gehirne schalten auf Abwehr. Wer also diesen Tatbestand gut nutzen kann, macht gute Geschäfte

    MS: Über den nutzen entscheidet letztlich der Nutzer. Überlassen wir das Selberdenken nach und nach den medialen Vordenkern?

    Panzer: Im Prinzip war das schon immer so. Erinnern wir uns an Niklas Luhmanns wunderbaren Satz: „Alles was wir von der Welt wissen, wissen wir aus den Massenmedien“. Dazu zählt er natürlich nicht nur Fernsehen, Radio, Zeitung, sondern auch Bücher, was wir meistens vergessen. Wir erwerben also im wahren Wortsinn unsere Meinung von denen, die uns ihre Meinung anbieten, das beginnt mit der Geburt. Eine Gefahr, wenn überhaupt – ich bin ja Antialarmist – sehe ich darin, dass immer mehr Meinungsanbieter in den Neuen Medien sich nicht so viel Zeit für ihre Meinungakkumulation nehmen, wie es die Meinungsträger der klassischen Medien noch tun. Und das Ergebnis ist: Wir leben in einer Zeit der Meinungsdiarrhoe.

    MS: Ist die heilbar?

    Panzer:  Ja, und zwar wieder mit Luhmann. Nach dem ersten berühmten Satz in seiner Realität der Massenmedien: „Alles, was wir…..“, gibt es die Fußnotenzahl 1. Und dort steht wörtlich: „es sei denn man ist im Urlaub.“

    MS: Wird der Talk, ob anspruchsvoll oder banal, denn noch anders als das Dschungelcamp wahrgenommen? Der Zuschauer will Unterhaltung oder was will der Zuschauer?

    Panzer: Die ZuschauerInnen, um es geschlechtsneutral auszudrücken, wollen unterhalten werden. Warum sonst sollen sie den Fernseher oder das Radio einschalten oder auf Youtube rumdaddeln. Alles ist doch mehr oder weniger Unterhaltung. Früher in der Schule hieß das Didaktik, heute Formatdesign und Quotenmodellierung. Und das ist auch gut so. Nehmen wir als Beispiel das Fernsehen und wieder unsere „globales-Dorf“-Metapher. Wie früher aus dem Fenster auf den Marktplatz, schauen wir heute durch die Röhre in die Welt. Und wie früher treiben es da die Händler (Werbung), die Gaukler und Schwertschlucker (Dschungelcamp). Marodeuere jagen brandschatzend durch die Stadt (Nachrichten und Brennpunkte) und die Frauen palavern am Brunnen (Talkshows). Und ganz hinten, unter der alten Linde, da erklärt ein alter Mann, der kein Jesuit ist, den Kindern die Welt (Die Sendung mit der Maus).

    MS: Und was will Volker Panzer?

    Panzer: Gesund bleiben, sich zwei warme Mahlzeiten am Tag leisten können und sein kindliches Gemüt beibehalten.

    MS: Zwei warme Mahlzeiten. Lassen Sie mich eine Behelfsbrücke über Königsberger Klopse (laut Forsa 93 Prozent der Deutschen ein Begriff) zu Kant (bei „Unsere Besten“ im ZDF auf Platz 43) schlagen. Immanuel Kant hat, ohne es erwähnenswert zu verlassen, von Königsberg die Welt erreicht. Heute kommen die Denker per Knopfdruck oder Klick jederzeit ins Haus, aber kommt da wirklich etwas an? Sollte es denn ankommen?

    Panzer: Kant ist einmalig. Egon Friedell, wenn man so will der erste Medienintellektuelle, hat Recht, wenn er in seiner Kulturgeschichte der Neuzeit Kant als „Unikum in der gesamten menschlichen Geschichte“ bezeichnet. Aber es war auch eine andere Zeit. Ende des 18. Jhd. und Anfang des 19 Jhd. konnte die Mehrheit der Bevölkerung immer noch nicht richtig lesen. Und die Geistesgrößen von damals waren europaweit unter sich. Statt Facebook gab es regen Briefverkehr zwischen den „FreundInnen“ und statt „Klicks“ hielt man sich reitende Boten. Der missionarische Kantianer Schiller zum Beispiel schickte als Universitätsprofessor in Jena mehrmals r-mails (zu deutsch:reiter-post) nach Weimar zu Goethe, der rasch mit Federkiel seine Meinung auf die Rückseite kritzelte und ab im Galopp. Was uns heutzutage auszeichnet ist doch der Umstand, dass nun alle lesen und schreiben können und ein gewaltiger Bildungstsunamie hat diese alte Welt unumkehrbar umgekrempelt. Und das ist doch auch gut so: Jeder kann heute seiner Meinung Schmied sein. Manchmal aber denke ich, dass diese sperrangelweite Öffentlichkeit doch noch ein Hinterzimmerchen hat: Auf der Bühne: Die Clowns der ewigen Einsdreißig Experten und Spiegel-Essai-Rauner und in den Hinterzimmerchen der Forschungslabors von sagen wir CERN bis Jülich, die wahren Denker, die wie Kant ihr „Königsberg“ auch nicht verlassen.

    Matthias Schumacher: Im Angesicht all dessen abschließend eine Frage an Ihr selbstattestiertes kindliches Gemüt. Eingangs sprach ich von der möglichen Verbannung der Intellektuellen auf unmögliche Sendeplätze. Möchte das Kind in Ihnen nicht manchmal im kindlichen Jähzorn einige dieser Intellektuellen- und Intellektuellendarsteller verbannen?

    Volker Panzer: Aber wohin? In die Katakomben der Universitäten? Die haben sich doch endlich mal geöffnet. Es ist heutzutage doch keine Schande mehr, für einen richtigen oder richtiger ordentlichen Professor, sich im Fernsehen vor einem wild zusammengeworfenem Haufen von Zuschauern zu artikulieren. In England kann man sich die Teilnahme an Wissenssendungen im Fernsehen auch auf die Publikationsliste schreiben. Das widerspricht im Übrigen nicht meiner vorigen Antwort, sondern ist eine Aufforderung an all die unentdeckten Geister sich der Aufklärung des Publikums anzunehmen. Dabei müssen sie allerdings in Kauf nehmen, dass Sie an den Rändern des Marktplatzes stehen werden, bei arte, im Deutschlandradio oder nachts im ZDF.

    Vielen Dank für das Interview!

    Nachtrag:

    Volker Panzer starb am 13. August 2020 im Alter von 73 Jahren in Berlin. Ich behalte ihn in bester Erinnerung als uneitlen, aufgeschlossenen Gesprächspartner und großen Humanisten. (ms)


  • STEPHAN SULKE im Interview (fast ohne Uschi)

    Foto: Jim Rakete – © 2009 Glor Music Production GmbH & Co.KG

    Geboren 1943 als Sohn Berliner Exilanten in Shanghai. Ab 1949 aufgewachsen in der Schweiz. 1963 folgt auf die Teilnahme an einem Nachwuchswettbewerb in Paris die erste Single. Zwei Jahre später erscheint in den USA die in Nashville produzierte Aufnahme “Where Did She Go”. Stephan Sulke veröffentlicht fortan in den Vereinigten Staaten und Frankreich. Mitte der 70er vermehrt Auftritte in Deutschland. 1982: “Uschi” verhilft Sulke zum Deutschen Schallplattenpreis und zum Titel “Künstler des Jahres”. Die Zeile “Uschi mach kein Quatsch” wird zum geflügelten Wort. Hits, Alben, Bücher. Aus- und Umbrüche. Bildhauer, Maler, Bauunternehmer. Ein Leben wie eine Weltreise. Aktuelle Station: Sein Album “Mensch ging das aber schnell”.

    Matthias Schumacher (MS): Im Titelsong heißt es “Wumm di bumm, Halbzeit rum”. Vor wenigen Tagen sind Sie 66 geworden. Wie optimistisch sind Sie eigentlich?

    Stephan Sulke: Optimistisch genug, um nicht Selbstmord zu begehen.

    MS: Ich habe vergessen, vorab etwas Wesentliches mit Ihnen zu klären: “Uschi” lassen wir heute weg! Oder?

    Sulke: Uschi ist praktisch ein “Volkslied” einer ganzen Generation geworden. Soll mir zuerst einer nachmachen, bevor er meckert.

    MS: 1963 gab es Ihre erste Single nur auf Vinyl, heute kann man sich Ihre Musik als mp3 runterladen. Das Internet: die wohl größte Veränderung und Herausforderung für die Musikbranche. Viele Nutzer klagen über “veraltetes” Urheberrecht, Labels über Raubkopien. Und zwischen allen Stühlen stöhnt und ächzt der Künstler. Bitte klagen Sie jetzt!

    Sulke: Ich weiß nicht, ob Raubkopien wirklich so ein Problem sind,  iTunes scheint schließlich gut zu laufen. Kommen andere Zeiten, kommen andere Sitten.
    Klar, die Zeiten, wo Du schnell mal ‘ne halbe Mio. Singles verkloppen konntest mit ‘ner “catchy” Melodie, die sind vorbei. Die Zeiten, wo Du mit ‘nem großen Auto rumfahren konntest, ohne als Umweltferkel beschimpft zu werden, die sind auch vorbei. Die Zeiten, wo Du ohne wahnwitzige Kontrollen in den Flieger steigen konntest, die sind auch vorbei. Andererseits, die Zeiten, wo Du von Deutschland nach Spanien bis zu viermal an der Grenze angehalten wurdest und zweimal Geld wechseln musstest, die sind auch vorbei. Aktion bewirkt Reaktion. Die Technik von heute verändert die Welt; wohin?

    MS: Nun ist die siebente Staffel von DSDS gestartet. Die einen sagen, es sei nichts anderes als ein Talentwettbewerb. Andere sprechen von Demütigung für Quote. Was sagt Stephan Sulke?

    Sulke: Keine Meinung. Interessiert mich nicht wirklich. Die Mehrheit hat das Fernsehen, dass sie verdient. Wenn keiner gucken würde, würden sie’s nicht senden. Wenn keiner Kokain schnupfen würde, würde es keiner anbieten. “elementary, my dear Watson.”

    MS: Sie haben immer wieder pausiert, aufgehört, hingeworfen. Mitunter hört man über zehn Jahre nichts von Ihnen, manchmal sind es nur fünf. Wie schafft man es, immer wieder weg zu sein, wiederzukommen, weg zu sein, und dennoch mehr als nur die alten nostalgischen Fans in die Konzerte zu locken?

    Sulke: Vielleicht wegen der Pausen…? Irgendwer hat mal gesagt: Wenn Du 10% Gefühl im Saal wecken willst, musst Du 1000% hineinsäen. Ich hab immer dann aufgehört, wenn ich mich selber fahl fand. Ich hab immer dann wieder angefangen, wenn’s in mir glühte. Ich werd’ das weiter so handhaben.

    MS: Als Berliner muss ich das einfach fragen: Man hat bei Ihren letzten Konzertplänen leicht den Eindruck gewinnen können, Sie machen einen weiten Bogen um die Hauptstadt. Wie ist das Verhältnis zwischen Ihnen und Berlin?

    Stephan Sulke: Hey, ich bin doch bei Hallervorden in den Wühlmäusen!

    MS: Als sie 1987 der Musikbusiness den Rücken kehrten, beklagten Sie “Zu viel Leere, zu viel Ego”. Sie hätten sich mit Ihren leisen Songs dagegenstemmen können. Ein Zeichen setzen. War die Branche als sie 1999 zurückkamen eine andere oder war Sulke anders geworden?

    Sulke: Zum ersten Teil der Frage: Ich bin kein Wanderprediger. Ich suche nicht, Leute zu bekehren. Ich such’ eher Gleichgesinnte. Und die Branche? Die Branche war immer wie eine Kirchenglocke: laut und innen leer. Ob ich anders geworden bin? Zehn Kilo schwerer vielleicht.

    MS: Sie haben unter anderem für Katja Ebstein geschrieben. 1983 hat Herbert Grönemeyer Ihr “Ich hab’ Dich bloß geliebt” für sein Album “Gemischte Gefühle” gecovert. Lassen Sie gern andere mit Ihren “Kindern” spielen?

    Stephan Sulke: Es ist ein Zeichen von Bewunderung. Es schmeichelt der eitlen Seele.

    MS: Das zweite Stück auf ihrem Album heißt “Aber nie” und ist eine Art “Die Gedanken sind frei – 2009″. So deutlich politisch und gesellschaftskritisch sind Sie lange nicht gewesen. Warum grad jetzt?

    Sulke: Weil wir in einer Zeit leben, in welcher die Völker der westlichen Demokratien sich ihre blutig erstrittenen Freiheiten von verlogenen, perfiden, feigen, anpassungswütigen, selbstherrlichen und durchaus freiheitsfeindlichen Einzelgängern und Gruppierungen aus der Tasche ziehen lassen. Das Zeitalter der größten geistigen und körperlichen Freiheit in der Menschheitsgeschichte versinkt in der Diktatur der spießigen Korrektheit, der religiösen Dumpfheit und der naiven Akkzeptanz unbeweisbarer Dogmen. Freiwillig marschieren diese Gesellschaften in eine post-mittelalterliche Geisteswelt der Intoleranz. Tragisch.

    MS: Unfreiheit beginnt oft im Kleinen und da sagt man schnell mal: “Ach, ich habe ja nichts zu verbergen.” Und dann werden Kontendaten gesammelt, Internetverbindungen gespeichert usw. Warum wehret kaum jemand den Anfängen?

    Sulke: Das Sprichwort “Wehret den Anfängen” gäbe es nicht, wenn es nicht in der menschlichen Natur läge, zu warten, bis es sehr sehr spät ist.
    Als der Hitler im Saarland einmarschiert ist, hatte er 3000 Männchen. Die Franzosen standen auf der andern Seite der Brücke und hätten bloß rüberspazieren brauchen, den Club einsammeln – und der Spuk wär vorbei gewesen. Ein paar Jahre später war der Spuk dann doch vorbei…mit zig Millionen Toten und einem zerstörten Europa.

    Matthias Schumacher: Zu guter Letzt doch noch eine Uschi-Frage: Wann waren Sie zum letzten Mal an der Elfenau und in welchem Outfit?

    Stephan Sulke: Hmm, war noch nie an ‘ner Demo….

    Vielen Dank für das Interview!

    Linktipp: stephansulke.com


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